Main menu

Pages

   Am dreißigsten April luden mich Hugo und Luise ein, mit ihnen zum Jagdhaus zu fahren. Mein Mann war damals seit zwei Jahren tot, meine beiden Töchter waren fast erwachsen, und ich konnte mir meine Zeit einteilen, wie es mir gefiel. Allerdings nutzte ich meine Freizeit wenig. Schon immer fühlte ich mich zu Hause am wohlsten. Nur Luises Einladungen lehnte ich selten ab. Ich liebte das Jagdhaus und den Wald und war gern dazu bereit, drei Stunden im Auto zu sitzen. Auch an diesem dreißigsten April nahm ich die Einladung an. Wir wollten drei Tage bleiben, und es war kein anderer Gast eingeladen.

   Wir fuhren also drei Stunden mit dem Wagen und hielten im Dorf, um Hugos Hund vom Jäger abzuholen. Der Hund hieß Luchs.
   Wir unterhielten uns ein wenig mit dem Jäger, und es wurde beschlossen, dass er am nächsten Abend mit Luise auf die Jagd gehen sollte.

   Erst gegen drei Uhr erreichten wir das Jagdhaus. Hugo begann sofort damit, aus dem Wagen neue Vorräte in die Küche zu bringen. Ich kochte Kaffee und danach – Hugo fing gerade an einzuschlafen – schlug Luise ihm vor, mit ihr noch einmal ins Dorf zu gehen. Natürlich die pure Bosheit, wenn sie auch behauptete, ein Spaziergang wäre für seine Gesundheit unbedingt notwendig. Gegen halb fünf Uhr ging sie endlich triumphierend mit ihm los. Ich wusste, sie würden in das Dorfgasthaus gehen.

   Ich räumte das Geschirr vom Tisch und hängte die Kleidungsstücke in den Schrank, als ich damit fertig war, setzte ich mich auf die Hausbank in die Sonne. Es war ein schöner warmer Tag...

   Während ich sosaß und die letzte Wärme auf dem Gesicht spürte, sah ich Luchs zurückkommen. Wahrscheinlich hatte er Luise nicht gehorcht, und die hatte ihn zur Strafe zurückgeschickt. Ich konnte sehen, dass sie mit ihm geschimpft hatte. Er kam zu mir und legte den Kopf traurig auf meine Knie. So blieben wir eine Zeit lang sitzen. Ich redete ihm zu, denn ich wusste, dass Luise den Hund ganz falsch behandelte.

   Als die Sonne hinter den Bäumen verschwand, wurde es kühl. Ich ging mit Luchs ins Haus, machte Feuer und fing an, das Essen zuzubereiten. Ich hätte es natürlich nicht tun müssen, aber ich war selbst hungrig, und ich wusste, dass Hugo ein richtiges, warmes Abendessen verzog.

   Um sieben Uhr waren meine Freunde noch nicht zurück. Das war auch fast nicht möglich, ich rechnete damit, dass sie vor halb neun nicht kommen würden. So fütterte ich den Hund, aß ein wenig und las schließlich im Schein der Petroleumlampe die Zeitungen, die Hugo mitgebracht hatte. In der Wärme und Stille wurde ich müde. Luchs schlief leise und zufrieden neben dem Feuer. Um neun Uhr beschloss ich, zu Bett zu gehen. Ich schloss die Tür ab und nahm den Schlüssel mit mir in mein Zimmer. Ich war so müde, dass ich sofort einschlief.

   Ich erwachte davon, dass die Sonne auf mein Gesicht fiel, und erinnerte mich sofort an den vergangenen Abend. Da wir nun einen Schlüssel mithatten – der zweite lag beim Jäger – hätten Luise und Hugo mich bei ihrer Rückkehr wecken müssen. Ich rannte die Treppe hinunter und schloss die Eingangstür auf. Luchs empfing mich ungeduldig und lief an mir vorbei ins Freie. Ich ging ins Schlafzimmer, obgleich ich sicher war, dort keinen Menschen zu finden, das Fenster war ja vergittert. Die Betten waren natürlich leer.

   Es war acht Uhr; die beiden mussten im Dorf geblieben sein. Ich wunderte mich sehr darüber. Hugo hasste die kurzen Gasthausbetten, und er wäre niemals so unhöflich gewesen, mich alleinüber Nacht im Jagdhaus zurückzulassen. Ich konnte mir nicht erklären, was geschehen war.

Marlene HAUSHOFER, Die Wand, 1991





reactions