Eva,
Literaturprofessorin, erwartet den Besuch einer ihrer Schülerinnen.
Eva Kindig deckte
den Gartentisch, stellte Limonade, Kekse und Gläser bereit. Ihre Bewegungen
waren hastig. Ein Glas fiel ihr beinahe aus der Hand. Walter Kindig schaute
seine Frau prüfend an.
‚‘Du hast ein bißchen
Angst, nicht wahr ?’‘
Eva Kindig
nickte. ‚‘Hoffentlich ist sie nicht deprimiert. Ich mach‘ mir Vorwürfe.
Vielleicht hab‘ ich zu große Hoffnungen in ihr erweckt mit dieser
Theatergruppe…’’
‚‘Blödsinn!‘‘ sagte
walter. ‚‘Das Theaterspielen hat so vielen Schülern Spaß gemacht. Und bloß weil
eine davon sich unberechtigte Hoffnungen gemacht hat, darfst du nicht die ganze
Sache verdammen !’’
Trotzdem. Du
darfst nicht vergessen, dass auch ich dazu beigetragen habe, dass Julia den
falschen Weg eingeschlagen hat‘‘, antwortete Eva bedrückt.
Walter legte ihr
beruhigend die Hand auf die Schulter.
‚‘Es ist doch
nicht deine Schuld, dass sie die Aufnahmeprüfung am Stadttheater nicht
bestanden hat. Erinnerst du dich nicht mehr? Du warst nie ganz zufrieden mit
ihr.‘‘
Eva nickte. Ja,
es stimmte. Irgendetwas hatte immer gefehlt: eine Nuance hier, eine Pause da,
ein Gefühl für den richtigen Ton. Das gewisse Etwas, das man nicht beschreiben,
nicht einmal benennen konnte.
Es klingelte.
Julia stand an
der Gartentür. In der Hand hielt sie eine weiße Rose. Der Anblick rührte Eva
Kindig. Julia wirkte ein wenig verlegen, andererseits aber doch selbstbewusst.
‚‘Hallo Julia‘‘,
sagte Eva, und ihre Stimme klang ein wenig heiser. Sie hatte erwartet, Julia
ziemlich verstört zu sehen, und wunderte sich, dass das nicht der Fall war.
‚‘Ich gehe jetzt‘‘, sagte Walter zu seiner Frau. Er reichte Julia die Hand,
‚‘Auf Wiedersehen!‘‘ und fort war er.
Julia gab Eva die
Rose. ‚‘Danke‘‘, sagte sie. ‚‘Für alles‘‘. Nun hielt Eva die weiße Rose
verlegen in der Hand. <<Ich war dir keine große Hilfe>>, murmelte
sie.
‘’Das ist nicht
wahr’’, sagte Julia. ‚‘Sie haben mir so viel Zeit geschenkt. Und
Aufmerksamkeit. Und Sie waren immer ehrlich in Ihrer Kritik. Wenn ich genauer
auf Sie gehört hätte, dann hätte ich es eigentlich wissen müssen.‘‘
‚‘Was wissen
müssen?‘‘
‚‘Dass ich nicht
genug Talent habe. Sie haben eben die Besten genommen! Ich glaube, es gibt
etwas, was man eben hat oder nicht. Man mag es Talent, Begabung, Ausstrahlung
oder sonstwie nennen. Ich habe es nicht. Diese Erkenntnis ist bitter,
aber...‘‘, Julia zuckte die Achseln.
Eva schwieg. Das
Mädchen hatte eine Reife gewonnen, die ihm Eva nie zugetraut hätte. ‚‘Was wirst
du jetzt machen, Julia‘‘, fragte sie zögernd. Julia lächelte. Ein
Bitterschokoladelächeln. ‚‘Zunächst einmal werd‘ ich die Schule fertig machen.
Ich werd‘ halt den Kampf gegen die Mathematik wieder aufnehmen. Und wenn ich
das Abitur schaffe, dann werd‘ ich das tun, was ich gut kann. Fremdsprachen
studieren vielleicht. Englisch, Französisch, Spanisch. Sie wissen ja: In
Sprachen bin ich gut.‘‘
‚‘Und wie geht es
dir jetzt? Ehrlich?‘‘
Julia zuckte die Achseln. ‚‘ Ich weiß es
selbst nicht so genau, ob ich glücklich oder unglücklich sein soll. Natürlich
wäre ich ganz glücklich gewesen, wenn ich es geschafft hätte. Es wäre mein
wirklicher Labenstraum gewesen. Aber ich habe meine Grenzen gesehen. Vielleicht
ist es besser, wenn ich das tue, was ich gut kann.‘‘
Eva traute sich zunächst gar nicht, diese
Frage zu stellen, aber dann stellte sie sie doch. ‚‘ Und das Theaterspielen
hängst du endgültig an den Nagel?‘‘
‚‘Nein‘‘, sagte Julia. ‚‘ Das kann ich
nicht. Weil Theater etwas so Wunderschönes ist. Ich werde weiterhin in Ihre
Theatergruppe kommen. Einfach so. Aus Spaß. Ohne Leistungsdruck.’’
‘’ Vielleicht wirst du dann sogar besser
beim Spielen. Leichter, freier. Vielleicht lernst du sogar das Improvisieren.‘‘
Eva hielt sich erschrocken die Hand vor den Mund. ‚‘Nein, ich will dich nicht
wieder verführen.‘‘